Mittwoch, 26. August 2015

US-Forscher: »Menschliches« Mini-Gehirn fast komplett im Labor gezüchtet

Redaktion

Wissenschaftler der Ohio State University behaupten, nun ein beinahe vollständig geformtes menschliches Gehirn im Labor geschaffen zu haben, wenn auch als »Miniaturausgabe«, die keineswegs denkfähig sei. Viele Informationen zu diesem für militärische Zwecke gezüchteten Gehirn bleiben derzeit allerdings geheim.

Das ist wieder so eine Frankenstein-Geschichte, unheimlich und auch recht nebulös. Forscher behaupten, ein Miniaturgehirn geschaffen zu haben, das allerdings beinahe sämtliche Zelltypen und Eigenschaften in sich vereint, wie sie auch im menschlichen Vorbild vorhanden sind. Zum ersten Mal sei es jetzt gelungen, überhaupt ein derart weit entwickeltes »Gehirnmodell« zu schaffen.

Das winzige Objekt ist nur ungefähr so groß wie ein Bleistiftradierer und wirkt somit kaum spektakulär. Doch die Forscher zeigen sich begeistert. Die Züchtung ähnle dem Gehirn eines etwa fünfwöchigen Fötus und sei, so versichern die Experimentatoren, keinesfalls fähig, ein Bewusstsein zu entwickeln.

Sinn und Zweck des Ganzen sei vor allem, das Voranschreiten bestimmter Erkrankungen zu studieren oder auch die Wirkung von Medikamenten zur Therapie von Alzheimer, Parkinson und anderer Leiden zu überprüfen. Dem komme entgegen, dass die betroffenen Regionen bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Gehirnentwicklung existieren. René Anand von der Ohio State Universityin Columbus erklärte während seiner aktuellen Präsentation auf dem Military Health System Research Symposium in Fort Lauderdale, Florida: »Dieses Gehirn ist aus menschlichen Hautzellen geschaffen und das vollständigste Modell des menschlichen Gehirns, das je entwickelt wurde.«

Früher gezüchtete Mini-Organe seien kaum mehr als unvollständige »zerebrale Organoide«gewesen, die nur bestimmte Aspekte eines Gehirns rekonstruierten. Davon gibt es mittlerweile eineganze Menge, viele Forscher sind wild darauf, kleine Petrischalen-Hirne zu schaffen. Umso deutlicher hebt Anand die eigene Arbeit hervor: »Wir haben das gesamte Gehirn von Anfang an gezüchtet.«

Die Wissenschaftler der Universität von Ohio wollen rund »99 Prozent der unterschiedlichen Gehirnzellen und Gene«nachempfunden haben, außerdem enthalte es das Rückenmark, einen Signalkreislauf und sogar eine Retina. Wie Anand sagt, wurden die erwachsenen menschlichen Hautzellen in pluripotente Stammzellen verwandelt, die sich zu jeder Art von Körpergewebe entwickeln können.

Im Labor habe die Gruppe um Professor Anand für ein besonderes Medium gesorgt, in dem die Zellen zu den verschiedenen Komponenten des Gehirns und des Zentralnervensystems heranwuchsen. Nach zwölf Wochen sei es dann endlich so weit gewesen: Die Forscher hätten nun ein Gehirn geschaffen, das dem Stadium bei einem fünf Wochen alten Fötus entspreche.

Zu ethischen Problemen käme es bei derlei Experimenten überhaupt nicht. »Wir haben hier keine sensorischen Stimuli, die ins Hirn gelangen«, versucht Anand zu beruhigen und fügt noch schnellhinzu: »Dieses Gehirn denkt in keinster Weise.«

Noch weiter bei diesen Forschungen zu gehen, würde bedeuten, ein Netz an Blutgefäßen anzulegen, wie sie die Wissenschaftler nach eigenen Angaben derzeit noch nicht züchten können. Für eine weitere Entwicklung des Gehirns benötigten sie auch ein künstliches Herz.

Was sagen aber die Forscherkollegen zu dem ungewöhnlichen Projekt? Werden hier vielleicht ethisch doch fragwürdige oder gar verwerfliche Studien durchgeführt? Könnte das winzige Hirn oder könnten dann vor allem weitere, fortgeschrittenere »Produkte« möglicherweise doch fühlen, denken oder Schmerzen empfinden, ohne dabei einen Draht zur Außenwelt zu besitzen? Und inwiefern treffen die von den Wissenschaftlern mitgeteilten Ergebnisse überhaupt zu? Da häufen sich schnell viele Fragen an, insbesondere, weil die Gruppe um Anand nur sehr wenige Fakten und keine Detailinformationen veröffentlicht hat.

Die Verschwiegenheit hängt mit der bevorstehenden Erteilung eines Patents zusammen. Andererseits bemängeln Kollegen den gewählten Ablauf der Präsentation. Anstatt zuerst den üblichen wissenschaftlichen Prüfungsprozess zu wählen, gaben die Forscher sofort Informationenan die Presse weiter.

Alles in allem sei nicht zu beurteilen, welche wissenschaftliche Bedeutung die neue Arbeit wirklich habe. Deshalb raten einige Fachleute zur Vorsicht. Sollten aber sämtliche Behauptungen zutreffen, könnte zumindest ein revolutionärer Durchbruch folgen.

Zumindest Anand ist überzeugt: »Wenn Sie eine Erbkrankheit haben, dann geben Sie uns einfach eine Probe der Hautzellen, wir können dann ein Gehirn daraus machen und die Frage stellen, was sich wirklich abspielt.« Ebenso ließen sich gesundheitliche Auswirkungen von Umweltgiften auf das wachsende Gehirn bestimmen und Gefahren rechtzeitig erkennen. Anand führt zu den Möglichkeiten seiner Forschungen weiter aus:
»Bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems werden dadurch Studien zugrundeliegender genetischer Empfänglichkeit oder reiner Umwelteinflüsse möglich, ebenso zur Kombination aus beidem … . Die Wissenschaft vom Genom folgert, dass es bis zu 600 Gene gibt, die Autismus hervorrufen, aber wir stecken hier fest. Mathematische Korrelationen und statistische Methoden genügen nicht, um die Kausalitäten zu identifizieren. Sie benötigen ein experimentelles System – Sie benötigen ein menschliches Gehirn.«
Vorgeblich genügt hierzu die von Anand geschaffene Miniaturausgabe. Trotzdem, das Fehlen eines entsprechenden Blutkreislaufs lässt das Mikrohirn des Professors als Modellgewebe für medizinische Tests sehr fragwürdig erscheinen. Wenn aber alle Voraussetzungen erfüllt sind,könnte ein solches Modellgewebe in Zukunft gegenüber den schrecklichen Tierversuchen eine echte und effektivere Alternative darstellen.

Derzeit konzentriert sich Anand darauf, die Hirnforschung auf den militärischen Bereich einzuschränken und die Auswirkungen von posttraumatischen Belastungsstörungen sowie traumatischer Hirnverletzungen besser verstehen zu können, so heißt es.

Ein ungewöhnliches Projekt, militärische Forschungen und das Bemühen um Patente: alles zusammen ein typischer Cocktail für das Verschweigen von Information – was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack und selbst in Fachkreisen einige Unsicherheit darüber, was von dieser neuen Hirnzüchtung wirklich zu halten ist.




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